MTB Sport News März 2020 12 - www.mtb-sport.de - die Mountainbike Seite im Netz!

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2020 UCI Mountain Bike Cross-Country World Championships presented by Mercedes-Benz in Albstadt - 20 Köpfe für 2020 (6): Faranak Partoazar: Radsport ist Leidenschaft und Lebens-Schule

Im Sport stehen die Besten im Fokus, Athletinnen und Athleten aus den hinteren Reihen werden selten beachtet. Dabei sind sie ein unverzichtbarer Bestandteil des Gesamtbildes eines Weltcups oder einer WM. Faranak Partoazar belegte beim Albstadt-Weltcup 2019 Rang 66, doch die Geschichte der iranischen Meisterin erzählt eindrucksvoll von einer fast magischen Wirkung des (Rad-)Sports als Schule fürs Leben, von einem selbstbewussten Stellvertreter-Kampf um Frauen-Rechte und einer Sportlerin, deren Leidenschaft und Hingabe als Vorbild taugt.  

Die Verabredung zu einem Telefonat über einen Messenger-Dienst ist unkompliziert. Faranak Partoazar lebt bei ihren Eltern im Haus, wir sprechen eineinhalb Stunden lang. Sie hat viel zu erzählen und sie erzählt viel. Ein paar Mal unterbricht sie sich und sagt: „Ich weiß, ich rede zu viel.“ Nein, es bleibt an jeder Stelle interessant. Was aus der lebhaften und intelligenten Frau geradezu heraussprudelt, wirkt reflektiert und wirft Schlaglichter auf ihre Perspektive auf die Welt, im Allgemeinen und auf den Mountainbike-Sport im Speziellen.   

Faranak Partoazar, Ihre Heimat Iran wurde auch vom Corona-Virus erreicht. Wie ist die aktuelle Lage in Shiraz?
Faranak Partoazar: Die Schulen sind geschlossen, auch die Universität. Aber sonst läuft alles normal. (Bei Redaktionsschluss hat sich die Lage verschlechtert, die Fitnessstudios sind geschlossen, Training in Gruppen sollte vermieden werden). Die Verantwortlichen reden kein Klartext, sie sind nicht ehrlich. Es gibt ein großes Misstrauen und so sind da viele Gerüchte.

Sie absolvieren ein Ingenieurs-Studium. Betrifft Sie die Schließung der Universität auch?
(Lacht). Gestern hätte ich graduieren sollen. Ich sollte meine Thesis verteidigen (inzwischen ist sie graduiert). Ich habe Hochbau studiert und meinen Master in Bau-Ingenieurswissenschaften abgelegt.

Wollen Sie dann als Bau-Ingenieurin arbeiten?
Als ich begonnen habe, wollte ich das wirklich machen. Ich wollte gerne Brücken bauen. Aber als ich mit dem Radsport richtig ernsthaft begonnen habe und mehr und mehr da reingekommen bin, hat das meine Wünsche für die Zukunft verändert. Ich bin nach wie vor interessiert in Physik und Mathematik. Aber Sportwissenschaften reizen mich sehr und ich würde gerne Mechanik studiere und Bikes designen. In der Bike-Brance zu arbeiten, wäre toll. Auf jeden Fall liegt mir die Wissenschaft mehr als Trainerin zu sein.

Obschon man Radsport-Trainer im Iran sicher auch gebrauchen könnte?
Da braucht man Nerven (lacht). Ich versuche schon Leuten zu helfen. Aber Coachen ist was anderes. Was ich bei meinen Trainern gesehen habe, ist sehr viel Leidenschaft, so viel Engagement. Nein, das kostet zu viel Nerven (lacht).

Faranak Partoazar lebt im Südwesten des Irans, in Shiraz, der fünftgrößten Stadt Irans mit 1,8 Millionen Einwohnern. Sie sagt, Shiraz wäre nicht ganz so konservativ wie andere Regionen des Landes. Die Stadt liegt auf 1600 Metern über dem Meeresspiegel und ist umgeben von Bergen, mit Gipfeln über 2700 Metern. Für Mountainbiker ist das ein durchaus spektakuläres Terrain, wie auch die Dokumentation der Gehrig-Zwillinge Anita und Carolin zeigt. In Shiraz gibt es eine, wenn auch kleine Radsport-Community – auch mit Frauen.  

Sie betreiben Frauen-Radsport im Iran. Wie viele Hürden mussten Sie dafür überwinden?
Ich habe 2014 richtig angefangen. Da wurde ich erstmals in die Nationalmannschaft eingeladen. Es war das erste Jahr, in dem sie Frauen aufgenommen haben. Bis dahin gab es das nicht. Männer sind auch außerhalb vom Iran Rennen gefahren, aber Frauen nicht. Die dachten, die können das nicht, sie haben keine Chance, um Resultate zu erzielen. Sie (der iranische Radsportverband) wollten nicht investieren. Es hat natürlich auch damit zu tun, wie die Gesellschaft im Iran über Frauen und Radfahren denkt.

Und wie kam es dazu, dass Frauen erstmals eingeladen wurden?
2014 hatten wir einen Coach aus den Niederlanden, Harry Hendriks. Er wollte Frauen in der Nationalmannschaft haben. Er hat für uns gekämpft, hat darauf bestanden und konnte die Verantwortlichen überzeugen. Das werde ich ihm nie vergessen. Durch ihn konnte ich wirklich für Rennen trainieren. Vorher bin ich nur so gefahren, ohne Plan und ohne Kenntnisse, auf einem wirklich niedrigen Level.

2014 sind Sie dann erstmals Rennen auch im Ausland gefahren?
Ja, ich war bei zwei Rennen in der Türkei und bei den Asiatischen Meisterschaften (in Indonesien). Das war so ein großer Unterschied. Das war fast wie Weltmeisterschaften, mit Eröffnungs- und Abschluss-Zeremonie. Ich war sehr überrascht von dem Niveau. Da waren wirklich gute Fahrerinnen. Die Chinesinnen waren so schnell, die Japanerinnen. Es ein völlig anderes Level. Von da an habe ich mir gesagt, ich will auf dieses Niveau kommen, ich will nicht einfach so brutal abgehängt werden. Ich wollte eine Medaille bei den Asien-Meisterschaften. Ich wollte auch zu den Asian Games (quasi kontinentale olympische Spiele), die bei uns eine große Bedeutung haben. Aber der Meldeschluss war schon vorüber. Der Verband wollte aber auch keine Frauen hinschicken, weil sie dachten, die können keine Medaillen gewinnen. Aber ich habe mir vorgenommen, in vier Jahren dabei zu sein. Das war eine Herausforderung, ein Ziel. Die erste iranische Frau (im Radsport) zu sein, die bei den Asian Games dabei ist.

Bei diesen Asienmeisterschaften 2014 standen drei Chinesinnen auf dem Podest. Auf Rang zwei: Chengyuan Ren, zwischen 2007 und 2011 vierfache Weltcupsiegerin. 2016 übernahm der Slowene Primoz Strancar die Aufgabe als iranischer Nationaltrainer. Strancar war Olympia-Teilnehmer in Sydney 2000. Er beendete er diese Tätigkeit inzwischen, arbeitet aber immer noch mit Faranak Partoazar zusammen.

Primoz Strancar hat als Nationaltrainer auch die Fahrtechnik forciert.  
Es war ein anderes Level. Ich hatte bis dahin nie einen Europäer fahren sehen und die echten Rennen noch nie erlebt. Wir sind nach Italien geflogen und sind ein HC- und ein C1-Rennen gefahren. Da waren so viele top Leute da, es war wie ein kleiner Weltcup. Ich war so überrascht sie zu sehen. Ich dachte, wie, zur Hölle, fahren die denn? Wie schnell und geschmeidig. Ich hatte Probleme mit dem Kurs, das Niveau war ein völlig anderes. Das war ein weiterer Wendepunkt für mich.

Inwiefern?
Es hat mich motiviert. Bei den Asien-Meisterschaften wurde ich bis dahin immer überrundet. Ich sagte zu Primoz, nächstes Mal will ich nicht mehr überrundet werden. Er sagte mir, bis jetzt hattest du immer zwei Runden Rückstand, wenn du nur noch eine Runde Rückstand hast, bin ich zufrieden. Aber es war dann das erste Jahr, in dem ich das Rennen (in derselben Runde) beendet habe. Ich war so glücklich. Ich hatte das Gefühl, dass sich was bewegt. Und dann wollte ich eine Medaille. Wir haben noch nie eine Medaille gewonnen. Ich habe dann begonnen mehr zu investieren. Ich bin auf eigene Faust zu Rennen geflogen.

Ohne Unterstützung?
Ich hatte keine Ahnung. Es war ein großes Abenteuer, auf mich alleine gestellt zu sein. Und ich habe viel dabei gelernt alles selber zu organisieren. Ohne Mechaniker, ohne Trainer. Ich habe versucht Leute zu finden, die mir in der Feedzone helfen, einen Mechaniker und so weiter. 2017 habe ich dann im Team-Wettbewerb eine Medaille gewonnen, aber das zählt nicht wirklich. 2018 habe ich auf den Philippinen die erste Medaille gewonnen. Das war die erste Medaille für eine Frau in der Geschichte des iranischen Radsports bei den Asien-Meisterschaften. Das war ein riesiger Schritt für uns. Damit war klar, (iranische) Frauen können Medaillen gewinnen. In diesem Jahr habe ich mehr erreicht als unsere Männer, obwohl der Verband uns immer noch nicht wirklich helfen wollte. Ich habe bewiesen, dass wir das können. Danach wollten sie, dass ich weitermache.
Wie hat sich der Widerstand bis dahin denn geäußert?

Man kann Harry und Primoz fragen. Es war nicht nur, dass sie uns nicht helfen und nicht dabei haben wollten. Sie haben nicht mal über Frauen nachgedacht. Wir hatten nicht gleichen Rechte wie die Männer. Die kamen immer zuerst, auch wenn ich die besseren Resultate hatte. 2018 hat sich das verändert, dann konnte niemand mehr sagen, das war Zufall. Ich wollte dann auch als erste Frau bei den Asian Games dabei sein. Und dann sagten sie, okay, wir schicken dich dahin. Weil sie gesehen haben, dass ich Medaillenchancen habe.  

Bei Ihrer Teilnahme an den Asian Games in Jakarta haben sie dann als Vierte eine Medaille knapp verfehlt.  
Ja, leider ist mir gleich am Anfang die Kette gerissen und ich musste drei Kilometer laufen. Ich habe sieben, acht Minuten verloren war Letzte und habe mich noch auf den vierten Platz nach vorne gekämpft. Da war ich ziemlich niedergeschlagen. Aber ich wurde dann für die Weltmeisterschaften in Lenzerheide nominiert.

Faranak Partoazar wurde bei der WM in der Schweiz mit drei Runden Rückstand 49. Die siebenfache iranische Meisterin hat sich die Teilnahme an den olympischen Spielen zum Ziel gesetzt. Aber erst 2024, denn der Zug für Tokio 2020 ist schon abgefahren. Außer ihr fährt keine andere Iranerin zum Punktesammeln ins Ausland. So liegen die Iranerinnen nur auf Platz 42, fernab von den Rängen, für die es Startplätze gibt. Eine Chance wäre ein Sieg bei den Asien-Meisterschaften 2019 gewesen, doch das war noch nicht realisierbar.

Sie sind 31 Jahre alt und haben sich Paris 2024 als Ziel gesetzt. Dann sind sie 35. Anderseits haben sie ein noch junges Trainingsalter. Haben Sie das Gefühl, dass sie sich weiter verbessern können?
Auf jeden Fall, sonst würde ich auch nicht für 2024 planen. Ich bin eine Idealistin. Ich bin 31, aber ich trainiere nicht mit Blick auf mein Alter, ich trainiere mit Blick auf meine Ziele.

2017 haben Sie in Nove Mesto Ihr erstes Weltcup-Rennen bestritten und dann in Albstadt gleich Ihr Zweites. Was war das für ein Erlebnis für Sie?
Zunächst mal war es schwierig, dass ich überhaupt dorthin mitgenommen wurde. Es war ein Kampf, dass ich gehen konnte. Ehrlich gesagt, ich war entschlossener zu gehen, als die beiden Männer von meinen Klub. Und wir haben es geschafft.

Und an was erinnern Sie sich?
Ich konnte es kaum glauben, wie groß die Unterschiede sind. Da waren so viele Frauen und die Organisation bei einem Weltcup ist was ganz anderes als andere Rennen. Ich dachte, hey, was geht da ab? Aber ich habe die Atmosphäre so genossen, alles ging um die Athleten und den Sport. Ich hatte nie das Gefühl, dass man mich als Iranerin komisch anschaut, als Fremde, als Terroristin, als gefährlich. Diesen Eindruck hatte ich zu keinem Zeitpunkt. Es ging nur darum, wer auf der Strecke die Beste ist. Mir hat es auch gefallen, dass ich Konkurrentinnen um mich herum hatte. Bei den Asian-Meisterschaften sind wir 15 oder 20, beim Weltcup sind es 60 oder 70. Das war eine neue Erfahrung.

Haben Sie Kontakt bekommen zu anderen Sportlern und Teams?
Ich meine, ich habe viele Fahrer in den sozialen Medien verfolgt. Natürlich hätte ich gerne mit ihnen gesprochen, aber ich war ein bisschen verlegen und schüchtern. Ich wusste nicht, wie sie sich verhalten. Inzwischen ist es anders, sie sind freundlich.

Die Bike-Community gilt als sehr offen. Haben Sie diese Erfahrung auch gemacht?
Zwei, drei Wochen nach der Enttäuschung bei den Asien-Spielen habe ich zum ersten Mal eine Einladung zu den Weltmeisterschaften in die Schweiz bekommen. Iraner waren noch nie bei der WM. Ich hatte die Chance mit den beiden Schweizer Enduro-Fahrerinnen Caro und Anita Gehrig zu arbeiten. Sie haben einen Dokumentar-Film gemacht über Freeriding im Iran und über Frauen im Mountainbike. Sie haben mir ein Einladungsschreiben des Schweizer Verbands gebracht. Ich hatte kein Geld und der Verband wollte nicht bezahlen. Deshalb war es ein Traum. Ich war so überrascht davon. Jeden Tag dort ist etwas Tolles für mich passiert. Ich habe zu meinem Coach gesagt: ich bin die glücklichste Person. Viele haben die Doku gesehen und kannten meine Situation. Diese Mountainbike-Community ist so nett und freundlich.

Faranak Partoazar fährt aktuell ihre Rennen mit einem Bike, das sie vom Schweizer Möbel Märki-Team abgekauft hat. Es ist das Bike, mit dem deren früheres Team-Mitglied Corina Gantenbein unterwegs war.
Die politische Situation, insbesondere die Sanktionen der USA im Zusammenhang mit dem Atom-Deal, hat die Preise im Iran in die Höhe schnellen lassen. Es ist schwierig Dinge wie neue Bremsbeläge überhaupt zu bekommen. Einen Sponsor, der ihr 2019 einen Low-Budget-Europatrip ermöglichte, hat Partoazar durch die Entwicklungen verloren. Visa zu erhalten wird für Iraner immer schwieriger. Für den europäischen Schengen-Raum seien 100 Seiten Dokumente auszufüllen und zudem ist es kostspielig.
Faranak Partoazar will über ihre Situation nicht klagen. Auch nicht darüber, dass sie als Spät-Einsteigerin vieles nicht schon in jungen Jahren gelernt hat. Sich selbst zu bedauern, würde sie zerstören, sagt sie.   

Es scheint schwierig für Sie außerhalb des Landes Rennen zu fahren?
Ich will mal weiter ausholen. Lenzerheide war ein großer Schritt und hat mich motiviert weiter zu investieren. Aber ich will mich nicht als Opfer der schwierigen Situation in meinem Land sehen. Viele Dinge sind nicht gut, aber ich will das nicht als Entschuldigung nehmen, ich mag das nicht. Ich will nicht sagen, deshalb kann ich das nicht. Ich will sagen: ich kann. Ich mag es nicht bedauert zu werden.

Aber es dürfte trotzdem schwierig sein?  
Ich habe versucht ein Trainings-Camp in Europa zu organisieren. Mein Problem ist, dass ich in Iran zu wenige Rennen fahren kann und wenn ich Rennen fahre, dann habe ich keine Konkurrenz. Ich hatte Geld von einer Werbefirma in Iran. Ich habe mein komplettes Geld in Euro getauscht und bin dann im April und Mai in Europa gewesen. Ich habe beim Verband auch nachgefragt. Erst haben sie gesagt, sie helfen und haben sie mir doch nur ganz wenig gegeben. Ich war hart für mich alleine zu reisen, von Land zu Land und alles alleine zu machen. Ich war in Slowenien, in der Schweiz, in Albstadt, in Nove Mesto und noch ein Rennen in Slowenien. Die Schweizer Firma DT Swiss hat mir sehr geholfen. Es war eine harte Erfahrung, aber eine einzigartige und ich habe viel gelernt.

Wie sehen Ihre Planungen für die WM in Albstadt aus?
Für dieses Jahr habe ich für Albstadt geplant. Die Weltmeisterschaften sind meine erste Priorität, wenn ich ein Visa bekomme. Ich hoffe, ich kann Geld verdienen, um auch noch andere Rennen zu fahren. Das ist das Ziel. Aber Albstadt will ich auf jeden Fall fahren.

Haben Sie keine Chance hier in Europa ein wenig Unterstützung zu bekommen?  
(Lacht). Ich habe 2019 sehr viel Unterstützung bekommen. Nathalie Schneitter (ehemalige Schweizer Weltklassefahrerin) hat mir geholfen, DT Swiss sehr viel und so weiter. Natürlich brauche ich Unterstützung, wie jeder Sportler. Aber, um ehrlich zu sein, ich mag es nicht, wenn Leute denken, sie ist arm, wir wollen ihr helfen. Das ist nett, aber das ist nicht mein Selbstverständnis. Ich will mir die Unterstützung verdienen. Ich bin mir sicher, was ich will und was mein Ziel ist. Ich glaube daran, dass ich in der Lage bin, das zu erreichen. Für Unterstützung soll es eine Gegenleistung geben.

Sie wollen keine Almosen.
Ja. Sehen Sie, ich will mich nicht beklagen. Dieses Jahr hatte ich eine Knie-Verletzung, dann kamen die Proteste im Iran, die Eskalation mit den USA, wir hatten im Iran keinerlei Unterstützung, es gab so viele Hindernisse und ich wollte doch eigentlich nur trainieren. Das war eine sehr stressige Situation, aber ich wollte meine Chance nutzen bei den Asien-Meisterschaften wieder eine Medaille zu holen. Und ich war Dritte in Thailand und ich war die einzige Medaillengewinnerin im iranische Team.

Im Iran ist der Radsport kaum sichtbar. Wie ist denn aus Ihnen eine Mountainbikerin geworden?
Als ich ein Kind war, hatten meine Zwillingsschwester und ich ein Fahrrad. Und ich habe es geliebt Rad zu fahren. Aber mit neun Jahren mussten wir aufhören, weil es in unserer Gesellschaft heißt: Frauen sollen kein Rad fahren, es ist nicht angemessen. Aber mir blieb immer das Bild, eines Tages mit dem Rad eine Abfahrt hinunter zu fahren – nur auf Asphalt. Mein Cousin hat das gemacht und das Bild hat sich bei mir festgesetzt. Ich habe im Fernsehen Sachen gesehen von Leuten, die mit dem Fahrrad um die Welt fahren und diese Idee hat mich fasziniert. Vor allem, weil ich andere Kulturen kennen lernen wollte. Wir sind so beschützt, so verschlossen, zumindest war das in dieser Zeit mein Gefühl. Wir hatten nicht so einfach Zugang zum Internet und so weiter. Aber ich wollte wirklich andere Kulturen kennen lernen und andere Arten zu denken.

Es war also eher touristisches Interesse am Radfahren
Ja, um die Welt kennen zu lernen. Das war mein Ziel. In den ersten Tagen bin ich bei Tagesanbruch losgefahren, bevor die Leute auf die Straße kamen. Ich erinnere mich, dass ich mich so glücklich gefühlt habe, so gesegnet. Ich weiß nicht, ich habe mich gefühlt wie ein Kind. Nichts, was mich hätte traurig machen können, ich war einfach nur glücklich. Es war das beste Gefühl, das ich jemals hatte. Ich bin dem Radfahren wirklich verfallen. Ich habe es jeden Tag gemacht und irgendwann haben mich auch die männlichen Radfahrer gesehen. Sie haben mich dann aufgefordert zu einem Rennen zu kommen.

Und Sie sind da hin gegangen?
Ich bin da hin. Ich erinnere mich, dass ich keinen Helm hatte, ich hatte nichts und wusste nicht mal, wie ich schalten musste. Ich wusste nur, wie man pedaliert.

Wie alt waren Sie da?
(Lacht). Das ist vielleicht ein bisschen lustig. Ich war 21.

Und wo haben Sie das Fahrrad herbekommen?
Es war das Fahrrad meines Bruders. Er hat das gefahren, als er ein Teenie war. Dann hat er es gelassen, weil es ihn nicht mehr interessiert hat. Ich habe es einfach genommen und bin in einer kleinen Straße damit gefahren. 500 Meter. Einfach um zu sehen, ob ich es noch kann. Nach so langer Zeit. Das Bike war zu groß für mich. ich konnte kaum mein Fuß auf den Boden stellen. Man musste das Bike reparieren und ich wusste nichts, nicht mal wie man den Schlauch wechselt. Deshalb bin ich mit ihm zu einem Mechaniker gelaufen, um es reparieren zu lassen.
Nun, ich bin das Rennen gefahren und wurde Dritte. Da waren etwa zehn Frauen, die gefahren sind, aber ich habe die niemals vorher gesehen. Ich erinnere mich, dass der Verantwortliche des Klubs beeindruckt war, wie ich mit diesem Bike so gut fahren konnte.  

Ohne schalten zu können..
..ich erinnere mich, dass ich vor dem Start jemand fragte, wie ich den Gang wechseln könnte. (Lacht). Er hat mir nur gesagt: wenn du einen kleineren Gang nimmst, dann wird es härter, wenn du einen höheren Gang nimmst, wird es leichter. Aber ich habe da nicht verstanden, was er meint. Um nachzufragen, war ich zu verlegen. Ich sagte, okay, okay, ich hab’s verstanden. Ich habe das ganze Rennen in einem einzigen Gang gefahren.

Was war das für ein Bike?
Ein Citybike. Wenn ich diese Geschichten erzähle, denken Sie wahrscheinlich, die ist verrückt (lacht). Eines Tages bin ich die Straße lang gefahren und eine Gruppe von Männern ist an mir vorbei gekommen. Einer ist aus dem Sattel gegangen. Ich dachte, was macht der denn. Ich hab’s dann auch probiert, aber es war nach zwei Pedalumdrehungen so hart, dass ich wieder hingesessen bin. Ich nahm es als Herausforderung, es dem Kerl gleich zu tun und ich habe geübt. Ich habe einfach immer nur geschaut, was andere machen.

Aber schalten konnten Sie inzwischen?
Nach dem Rennen habe ich das probiert. Die Schaltung war nicht mit Kettenblättern, sondern anders. Aber ich hab’s geschafft.

Damit sind Sie zur Rennfahrerin geworden, völlig unvermittelt?
Als Jugendliche war ich ein bisschen in anderen Ausdauer-Sportarten, aber Wettkämpfe habe ich nie besonders gemocht. Aber das erste Rad-Rennen, das hat mich fasziniert. Ein Jahr später haben sie mich zu einem nationalen Damen-Rennen geholt. Zu der Zeit bin ich aber gar nicht Rad gefahren, weil ich in einer anderen Stadt studiert habe. Ich habe neun Monate keinen regelmäßigen Sport betrieben. Sie haben mir ein neues Bike gegeben, mit neuer Schaltung und anderen Bremsen, als ich gewohnt war. Ich stand am Start, fuhr das Rennen und wurde Zweite.

War es ein Mountainbike-Rennen?  
Ja, ich erinnere mich, ich hatte viele Stürze, weil ich die Bremse nicht gewohnt war. Einmal bin ich ziemlich schwer gestürzt und der Kommissär wollte mich aus dem Rennen nehmen. Aber ich war viel zu leidenschaftlich, bin aus dem Staub gesprungen und weiter gefahren. Für mich war Radsport was völlig anderes als jeder andere Sport, es war eine so große Leidenschaft. Radfahren, das war komplett eine Art zu leben, vorher war ich das, was sie eine Couch Potatoe nennen.

Das heißt, Sie waren vorher gar nicht sportlich?
Ich hatte keine Motivation für spezielle Dinge. In den Radsport habe ich mich verliebt, er hat mein Leben verändert. Ich wurde von einer unmotivierten und faulen Person zu einer motivierten und aktiven Person. Vorher hatte ich keine Disziplin, im Grunde habe ich mit dem Radfahren Leben gelernt. Als Mountainbiker musst du mit dem Bike tanzen.  So ist es mit dem Leben auch. Wenn du das Leben genießen willst, dann musst lernen es zu tanzen. Als es im Herbst hier im Iran so schwierig wurde, habe ich damit versucht zu verhindern, dass sich mein Leben ins Schlechte wendet.

Radfahren, das klingt bei Ihnen wie eine Lebensphilosophie.
Exakt. Ich frage mich manchmal, wer konnte dieses Ding erfinden? Wie haben die Menschen gedacht, es tut mir so gut.

In der iranischen Gesellschaft ist Frauen-Radsport nicht gerne gesehen. Was haben Ihre Freunde und Ihre Familie gesagt, als sie damit begonnen haben?
Erst mal haben sie mich nicht unterstützt. Sie waren besorgt über die Reaktionen in der Gesellschaft. Eine Frau auf einem Fahrrad hat man als Rebellion betrachtet. Das war das Label, das sie uns aufdrückten. Aber von dem Punkt an, als ich mit dem Radfahren anfing, war mir egal, was andere denken. Ich habe für mein Recht gekämpft und dachte, sie können ja später ihre Meinung ändern. Das ist auch passiert. Ich musste kämpfen, wir hatten Diskussionen und sie sagten, ich würde meine Zukunft riskieren. Ich hatte viele Hochs und Tiefs.

Ist das immer noch so?
Jetzt sind sie stolz, dass ich so viel erreicht habe. Für Sie ist es normal, Sie müssen nicht darüber nachdenken, was andere Menschen denken. Aber wir leben hier in einer traditionellen Gesellschaft.

Ihr Berufswahl Bau-Ingenieurin, das ist doch auch eher ein Feld, das von Männern besetzt ist. Ist das auch schwierig?  
Zu Studieren? Ich würde sagen, nein. Du gehst einfach zur Universität. Aber am Arbeitsplatz, ist es mit den Männern unangenehm. Ich habe teilweise dort gearbeitet, aber mir hat das nicht gefallen.

Da sind auch die Kleider-Vorschriften. Beim Weltcup in Albstadt sind Sie aufgefallen, weil sie nicht nur Radklamotten tragen.  
Ja, wir müssen unseren Körper bedecken, es gibt einen offiziellen Dress Code in unseren Regeln. Wir müssen über der Radhose auch einen Rock tragen.

Albstadt wird Ihre zweite WM. Auf was freuen Sie sich am meisten?
Lenzerheide 2018 war eine großartige Erfahrung. Dass ich in Albstadt schon zweimal gewesen bin, ist ein großer Bonus, weil ich auch wieder davon ausgehe, dass ich auf mich allein gestellt bin. Hier kann ich mich besser selber organisieren. Letztes Jahr war ich in einem Zimmer unweit der Strecke und ich habe mich dort sehr willkommen gefühlt. Darauf freue ich mich am meisten. Die Familie war so warmherzig, daran erinnere ich mich sehr gern. Und das Rennen war sehr gut organisiert, darauf freue ich mich auch.  

Faranak Partoazar
Alter: 31
Wohnort: Shiraz, Iran
Beruf: Bau-Ingenieurin
Erfolge: Bronze bei den Asien-Meisterschaften 2018 und 2020, Bronze Team Relay Asien-Meisterschaften 2017 und 2019, Siebenfache Iranische Meisterin

Weitere Informationen unter www.world-cup-albstadt.de und www.wm2020albstadt.de
  

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