2020
UCI Mountain Bike Cross-Country World Championships presented by
Mercedes-Benz in Albstadt - 20
Köpfe für 2020 (8): Mike Kluge: Sensibler Tüftler und Visionär
Die
Serie 20 Köpfe für 2020 taucht mit der Nummer acht tief in die
frühe Zeit des Mountainbike-Sports ein. Mike Kluge ist Botschafter
für die UCI Mountainbike Weltmeisterschaften in Albstadt und keiner
verkörpert in Deutschland die frühe Zeit dieser Radsport-Disziplin
so sehr wie der gebürtige Berliner. Erst Straßen- und
Cyclo-Cross-Fahrer stieß er 1989 auf die wilde Disziplin mit den
neuen Sportgeräten und feierte Erfolge. Er blickt auf ein bewegtes
Leben zurück, mit vielen witzigen Momenten, in dem es aber auch
große Enttäuschungen zu verkraften gab.
Für
das jüngere Publikum muss man Mike Kluge erst mal in die
Radsport-Landschaft einordnen. In den 80er-Jahre gehörte er zu den
besten Radsportlern in Deutschland. Zu Zeiten, als man noch trennte
zwischen Amateuren und Profis, gehörte er als Amateur in den
80er-Jahren auf der Straße und im Cyclo-Cross zu den allerbesten
Fahrern in Deutschland. Zwei Weltmeister-Titel im Querfeldein belegen
das zur Genüge. Als er das Mountainbike für sich entdeckte, war er
darauf ähnlich erfolgreich. Bis heute ist er in der Elite-Klasse der
einzige männliche Weltcup-Sieger aus Deutschland. 1993 gewann er
zwei Weltcup-Rennen.
Kluge,
der heute als Berater, Fahrtechnik-Coach und Markenbotschafter in der
Bike-Branche tätig ist, war mit seiner meinungsfreudigen Berliner
Schnauze und seinem Gefühl für die Bedeutung von Publicity auch
eine Art Cover-Boy des Sports mit einer gewissen Strahlkraft.
Mike
Kluge, alles begann mit einem Bonanza-Rad. War das ein Ding, das
damals einfach cool war oder hatte das für dich schon irgendwas mit
Sport zu tun?
Ich
mochte an dem Rad mehrere Sachen. A waren die Räder schon mal
stabiler. Bis dahin bin ich immer auf Klapprädern gefahren und wir
sind damit gerne gesprungen. Wir haben Weitsprung gemacht. Aber die
sind dann regelmäßig an dem Klappmechanismus abgebrochen. Also
musste was Stabileres her. Cool war auch, dass ich damit meinen
Klassenkameraden mitnehmen konnte.
Weil
die Bonanza-Räder eine lange Sitzfläche und hinten eine Lehne
hatten..
...ja,
da konnte man schön zu zweit drauf fahren. Später haben wir auch so
ein bisschen Karambolage gespielt. Ich habe mir dann die lange Stange
von der Lehne vorne als Stoßstange montiert, damit mir keiner
reinfährt. Das war gewissermaßen der sportliche Wert (lacht).
Das
Rad hatte also ein Stück weit eine spielerische Bedeutung?
Das
Rad hatte für mich eine große Bedeutung. Es war aber auch der Weg
zur Schule, der mir zu Fuß zu langweilig war und zu lange gedauert
hat. Da war mit dem Fahrrad eine Effizienz da und ich hatte Spaß.
Von daher hat das Fahrradfahren schon früh in mir gebrodelt, es
brauchte dann nur noch die richtige Initialzündung. Das haben meine
Eltern erkannt. Wir haben damals die Tour de France geguckt. Es war
die Zeit als Dietrich Thurau im Gelben Trikot (1977). Das habe ich
jeden Tag angeschaut und alles in der Zeitung gelesen.
Das
war dann der Punkt, an dem es für Sie in Richtung Radsport ging?
Genau.
Ich habe mir dann ein Rennrad gekauft, ein Peugeot (die Marke, die
Thurau fuhr). Ich glaube, das haben damals alle gemacht. Schade, dass
die Marke ihre Tradition nicht weitergelebt hat. Die hatten damals
sehr viel Potenzial.
Gab
es denn eine andere Sportart, die Sie vorher mal betrieben haben?
Ja.
Handball und Volleyball. Beim Handball muss ich sagen, ich war damals
nicht wirklich groß, ich hatte ständig Ellbogen im Gesicht. Das hat
mich so geärgert und aggressiv gemacht. Mir hat es gefallen dem Ball
eine Rotation zu geben, aber die Gegnerberührung habe ich nicht
gemocht. Da war Volleyball viel charmanter. Ich wäre gerne
Beachvolleyballer geworden. Die Location hätte mir gut gelegen, aber
das war die falsche Zeit.
Das
Rennrad macht ja noch keinen Rennfahrer. Wie kam es dazu, dass Sie
Radrennen gefahren sind?
Erst
mal fing das kontraproduktiv an. Ich hatte mit meinen Kameraden Spaß
daran Bremsstreifen zu ziehen. Ich war damals Schulbester (lacht). In
meiner Familie waren bei allen Rädern die Hinterreifen abgefahren
und durchgebremst. Es standen lauter platte Räder im Keller. Da
bekam ich logischerweise Familienkloppe. Es kam parallel das
Tour-de-France-Thema und meine Eltern kamen auf die Idee: mich zu
einem Jedermann-Rennen hinzufahren. Sie haben mich angemeldet, ich
bin drei Rennen gefahren und habe alle drei gewonnen. Dann dachte
ich, ist ja cool man, Fahrrad fahren ist ja einfach. Mein Vater hat
mich dann im Verein angemeldet, bei den Zehlendorfer Eichhörnchen.
Die waren dafür bekannt, dass sie sich stark um ihre Jugendarbeit
kümmern.
Damit
ging es dann richtig los?
Ich
habe dann ein Rad gekauft, das viel zu groß war. Gebraucht, weil wir
gar nicht das Geld hatten, um ein neues zu holen. Dann ging es los.
Gleich
mit Erfolg?
Nein.
Ich hatte keine Ahnung von Windschatten fahren. Erst mal habe ich
festgestellt, was es heißt, Blutgeschmack im Mund zu haben. Ich
wurde halt überrundet, eineinhalb Mal. Es ging ein paar Wochen so.
Und
dann?
Mein
Vater, der ja in das Rennrad für mich investiert hatte, obwohl wir
das Geld eigentlich gar nicht hatten und es auch Ärger mit meiner
Mutter gab – es hat ja 400 DM gekostet – mein Vater also hat
immer reingeschrien, ich soll mich zusammenreißen und dranbleiben.
Da war ich dann irgendwann an einem Punkt, an dem ich zu ihm gesagt
habe: wenn du mich noch einmal anschreist, dann hör ich hier auf.
Die Schule ist schon anstrengend, am Wochenende nicht ausschlafen
können ist anstrengend, nicht weg gehen zu können und mir am Montag
in der Schule nur die coolen Stories anhören zu müssen, die
gelaufen sind. Die Rennen waren zum Teil ja schon früh um sechs Uhr
in Berlin.
Hat
er das akzeptiert?
Ja.
Ich wusste aber natürlich auch, dass man von mir was erwartet, wenn
ich ein Rad für 400 Mark bekomme. Ich habe dann begriffen, wie das
geht mit dem Windschatten. Dass es besser geht, wenn man weniger
bremst. Ja, dann war ich irgendwann mit dabei und schließlich habe
ich das Rollberg-Rennen in Neukölln gewonnen. Das war ein richtig
schweres Rennen mit Kopfsteinpflaster und vielen Kurven. Ein bisschen
Paris-Roubaix.
In
welchem Alter war das?
Ich
glaube, das war 1979, da war ich 17.
Wie
lange hat es gedauert, von den drei Jedermann-Rennen bis zu diesem
Sieg?
Ein
Jahr.
Sie
sind also erst mal hinterhergefahren. Ein Talent war da erst mal
nicht wirklich sichtbar. Haben Sie sich das erarbeitet?
Talent
habe ich schon gehabt. Aber im Straßenrennen konnte ich das, was ich
hatte nicht so gut ausspielen. Das kam dann eigentlich erst mit dem
Cross. Da wurde ich in der U17 auch schon Berliner Meister in dieser
Disziplin. Mit dem Reindriften, Rumspringen, auch mal Stürzen,
Aufstehen, wieder Stürzen, das fiel mir leichter und es machte mir
Spaß diesen Grenzbereich heraus zu finden. Zum Beispiel was man dem
Boden an zutrauen kann. Ich bin damals Oberlenker gefahren. Es gab
nur die Bremsen außen, noch keine am Oberlenker, aber ich wusste,
dass beim Griff neben dem Vorbau die Lenkmanöver nicht so groß
ausfallen. So hatte ich da immer zwei, drei Kurven in meinem
Trainingsalltag, die ich am Limit gefahren bin. Das war im Rennen ein
großer Vorteil, weil ich in den Kurven immer ein paar Meter gut
machen konnte.
Sie
haben sich anscheinend schon früh mit solchen Feinheiten
beschäftigt.
Mir
hat das dann auch auf der Straße geholfen. Bei so einem Rennen wie
dem Rollberg, da wusste ich genau, was der richtige Reifendruck
ausmacht.
Das
hört sich nach einem echten Tüftler an.
Genau.
Mein Trainer damals, der Gerald Scholz, der mir das Cross-Fahren
beigebracht hat und später Wolfgang Scholz, der mir die richtige
Härte gegeben, der Gerald hat zu mir gesagt: die Leute schlagen dich
an deinen Schwächen. Je weniger Schwächen du hast, bzw., je weniger
sie sichtbar sind, desto größer sind deine Chancen die Konkurrenten
zu überrumpeln. Ich habe früh verstanden, was es heißt, eine hohe
Frequenz fahren zu können. Oder im Extrem auch mal einen dicken Gang
fahren zu können. Das habe ich später auch auf der Bahn gemerkt,
als ich Sechs-Tage-Rennen gefahren bin.
Es
war also nicht nur Selbstzweck da mit zu fahren?
Ich
wollte als Profi überall mitreden können, wollte wissen, was die da
machen und was die Tricks dabei sind. Bei meinem ersten
Sechs-Tage-Rennen in Dortmund bin ich nach einer Stunde – von sechs
Tagen – da mussten mich die Physiotherapeuten vom Rad runter heben.
Ich habe geheult vor Schmerzen, weil ich noch nicht verstanden hatte,
was es heißt, ohne Bremsen zu fahren. Man muss clever,
vorausschauend fahren. Also, das mit dem Austüfteln, das habe ich in
allen Bereichen gemacht.
Vermutlich
auch mit dem Material.
Ja,
auch mit meinen Rädern. Die mussten immer top in Ordnung sein. Wenn
ich daran denke, als ich das erste Mal ein Laufrad zentriert habe.
Ich hatte ja keine Ahnung, wie das geht. Ich habe einen
Zentrierschlüssel bekommen und meine Inspiration war ein Orchester,
das ich kurz zuvor gesehen habe. Wie die ihre Instrumente gestimmt
haben, ihre Saiten spannen. Auf Klang. Also habe ich an die Speichen
geklopft und wenn sie sich gleich anhörten, dann waren sie für mich
zentriert. Das Rad war natürlich total am Arsch (lacht). Es hat kaum
noch durch den Rahmen gepasst.
Wie
bedeutend war für Sie denn das Umfeld?
Sehr
viel. In der Nationalmannschaft, da war zum Teil ein Umgang, der hat
mir ein, zwei, drei Prozent Leistung genommen. Das hat mich total
runtergezogen. Ich bin sehr schwingungsempfindlich. Negative Energie,
wenn Leute griesgrämig sind oder so, die kosten mich ziemlich viel
Energie. Wenn du dich auf die Leute freust, dann macht es Spaß und
du kannst in den Schmerzbereich reingehen. Anders als wenn du dich
vorher aufgrund von unqualifizierten Bemerkungen den Kopf zermartert
hast.
Sie
haben vorhin von Ihrer eigenen Meinung gesprochen. Haben Sie damit
Schwierigkeiten gehabt? Oder andere Leute damit, dass Sie mit ihrer
Meinung nicht hinter dem Berg gehalten haben?
Ich
meine, jeder, wie er lebt und agiert, geht ja davon aus, dass er das
richtig macht. Von meinem Vater und auch von meinem damaligen Trainer
gab es nur richtig oder falsch. Und wenn es richtig ist, dann muss es
gemacht werden. Da wird nicht drum herum geredet. Diplomatie spielte
bei den Beiden keine Rolle. Dass man aber nicht alles sagen darf,
selbst wenn man Recht hat, das musste ich schmerzhaft erleben. Das
fiel mir sehr schwer, weil ich davon ausging, dass man Vertrauen nur
aufbauen kann, wenn man ehrlich miteinander umgeht. Diese Ehrlichkeit
hat, auch bei Fragen der Nominierung, manchmal keine Rolle gespielt.
So bin ich auch um zwei Olympia-Teilnahmen betrogen worden. 1984 und
1988. Ich gehörte 1984 zu den zwei oder drei besten Rennfahrern (auf
der Straße) und bei einem Aufgebot von zwölf Rennfahrern wurde ich
nicht mitgenommen.
Diese
beiden verpassten, respektive verweigerten Olympia-Teilnahmen, sind
ein wunder Punkt in der Karriere von Mike Kluge. Beim ersten Mal hieß
es, er sei zu jung (22), beim zweiten Mal wurde er ohne echte
Begründung übergangen. Die
damals Verantwortlichen und der Charakter Mike Kluge das waren zwei
Welten. Er tat seine Meinung kund, dass damals enge Verständnis von
Leistungssport in Deutschland und sein großstädtischer geprägter
Blick auf die Welt passten nicht zusammen. Er eckte an. Allerdings
darf man sich Mike Kluge nicht als Menschen vorstellen, der einfach
raushaut, was ihm in den Sinn kommt. Im Gespräch lässt er öfter
mal ein paar Sekunden Lücke um nachzudenken. Wenn es um das
Zwischenmenschliche geht wird klar, dass man sich hier mit einem
sensiblen Gemüt unterhält.
Waren
Sie für die damaligen Verantwortlichen nicht angepasst genug?
Ich
kam aus der Großstadt, ich mochte auch die andere Seite. Ein
bisschen Spaß haben. Auch mal auf die eine oder andere Party zu
gehen, auch wenn ich das sehr begrenzt gemacht habe. Man wollte mich
in ein ganz enges System einbinden. Preußische Gehorsamkeit haben
sie von mir erwartet, die konnte ich für 250 Mark Sporthilfe nicht
liefern. Wenn ich für 200 Tage um die Welt reise, an irgendeinem Ort
bin, das Rennen sogar noch gewonnen habe, mir dann die Stadt
angeschaut habe und von dort ins Zimmer zurückzitiert wurde, das
habe ich nicht verstanden. Erfolg hatten sie 1984 bei Olympia dann
nicht.
Und
1988?
Die
Entscheidung stand wohl im Zusammenhang mit meinem Boykott der
Cyclo-Cross-WM in Hägendorf (Schweiz)..
..als
Titelverteidiger in der damaligen Amateur-Klasse..
...Ich
hatte den Veranstaltern ein halbes Jahr vorher bei einer
Pressekonferenz und Streckenbesichtigung darauf hingewiesen, dass wir
bei Regen eine abartige Schlammschlacht haben werden. Man hat mich
mehr oder weniger ausgelacht. Es wäre ja Winter und sowieso
gefroren. Und wenn schon, wir wären ja Querfahrer und wir könnten
auch etwas laufen. Es kam dann auch so, mehr als die Hälfte musste
gelaufen werden. Man hat mir seitens des BDR angedroht, dass mein
Boykott Konsequenzen haben würde.
Und
Sie denken, die Nicht-Nominierung für Seoul 1988 war die Konsequenz?
Die
geforderten Ergebnisse habe ich jedenfalls erfüllt. Aber vielleicht
hatte man Angst, dass der Kluge in Südkorea auch wieder Rabatz
macht, weil ihm irgendwas nicht passt. Das hat mir letztlich viel an
Vertrauen genommen.
Nach
1988 kam es in Ihrer Karriere zu einem Bruch. Sie sprachen in einem
Interview mal davon, dass Sie dann „leichtsinnig“ geworden seien.
Was verbirgt sich hinter dieser Beschreibung?
Da
war einerseits der Verlust des Vertrauens in die damaligen
Verbandsstrukturen. Ich habe 1988 so viel zugunsten Olympia
ausgerichtet, habe alles erfüllt und wurde dann nicht mitgenommen.
Das habe ich dann aus dem Videotext erfahren.
Eine
Erklärung gab es nicht?
Nee.
Nee. Das waren so Sachen. Ich denke, das hat mich damals total
abgetörnt.
Und
Sie haben die Konsequenzen daraus gezogen.
Ich
habe mit dem Radfahren aufgehört, habe mein Rad in den Keller
geschmissen und bin nach Kalifornien zu meiner Freundin gegangen,
fast ein ganzes Jahr. Ich hab’ mir ein Cabriolet gekauft und
restauriert, bin bisschen gesurft. Dann hatte ich von Paul Köchli
(Sportlicher Leiter des damaligen Helvetia-Teams) und von Jan Raas
(Kwantum, später Rabobank) Anfragen für ihre Straßen-Teams. Ich
habe ihnen gesagt, ich fühle mich geehrt, ber Straße ist nichts für
mich. Da war mir der Spaß geraubt. Beide Angebote habe ich
abgelehnt.
Dadurch
öffnete sich letztlich die Tür zu Ihrer zweiten Karriere.
Zwei
Monate später kam dann ein Anruf, man wollte mich gerne zu einem
Mountainbike-Rennen einladen. Ich fragte: zu was?
Mountainbike-Weltcup. Hatte ich noch nie gesehen, kannte ich nicht.
Wir können ja morgen nochmal telefonieren. Ich habe mich dann
informiert und habe mir in Kalifornien mal die Räder angeschaut. Ich
dachte, die sehen ja irgendwie cool aus. Ein paar Tage später haben
wir telefoniert, ich habe meine Bedingungen genannt und die haben die
auch erfüllt.
Sie
haben also gleich mal einen Mountainbike-Weltcup bestritten.
In
Berlin. In der letzten Runde bin ich ein bisschen ungeschickt
gefahren und bin dann Zweiter geworden, hinter Volker Krukenbaum. Sie
sagten damals: was, dein erstes Mountainbike-Rennen? Aber es war ja
so ähnlich Cyclo-Cross und es hat mir schon Spaß gemacht. Im Sommer
im Gelände fahren und nicht im Winter Füße und Hände abfrieren.
Damit
begann ihre Laufbahn als Mountainbiker?
Specialized
kam auf mich zu – ich hatte eine geliehene Möhre – und hat
gefragt, ob ich für sie fahren würde. Ich fragte, wo sind denn die
Rennen überall? Ja, in Amerika, Australien, Südafrika. Ich dachte,
ach du meine Güte, ist das geil, das könnte meine Sportart werden.
Dann habe ich in Kalifornien meine Koffer gepackt und bin aufs
Mountainbike gestiegen, 1989.
Es
war also ein Jahr Abstand..
..ja,
ich bin ausgestiegen, einfach ausgestiegen. Und ich bin froh, dass
ich das gemacht habe. Manchmal muss man einfach mal einen Abstand
herstellen, um sich zu resetten. Nichts wäre schlimmer gewesen, als
länger auf der Straße herum zu gurken, mit den ganzen schlechten
Erfahrungen, die ich gemacht habe.
Zu
diesem Zeitpunkt ist die Disziplin noch nicht in den
Verbands-Strukturen angekommen. In den alt eingesessenen
Radsport-Disziplinen blickt man etwas verächtlich auf den Boom der
geländegängigen Räder. Es gibt einen von der Firma Grundig
gesponserten Weltcup, aber der Radsport-Weltverband UCI nimmt das
Sportgerät MTB erst 1990 in seine Regularien auf und richtet im
gleichen Jahr in Durango, Colorado, die ersten Weltmeisterschaften
aus. Eine Weltcup-Serie der UCI gibt es erstmals 1991.
Für
Mike Kluge läuft es sportlich auf dem Mountainbike gleich ganz gut.
Er gehört gleich zu den Besten und 1990 gewinnt er die Grund World
Cup-Serie. Doch im Hintergrund erlebt er wieder Enttäuschungen.
Einmal weil es immer wieder Material-Probleme gab und andererseits,
weil sein Sponsor damals Vertragsinhalte nicht erfüllte. Er
wechselte die Marke. Doch seine Ansprüche im Blick auf die
Entwicklung des Materials wurden auch hier nicht erfüllt. Das führte
schließlich dazu, dass er mit Freunden 1992 mit Focus eine eigene
Marke gründete und damit auch zum Unternehmer wurde.
Viele
sind in den Anfängen ja noch zwei Disziplinen gefahren. Downhill und
Cross-Country. Und Sie waren auch im Downhill erfolgreich.
1992
habe ich den damals größten europäischen Downhill-Weltcup in
Kaprun gewonnen. Da habe ich viel vom Auto-Rennsport profitiert. Du
musst dir so viel einprägen, die Kurven. Es gab Nebel und du
musstest auch nach Erinnerung fahren können. Das waren damals
Zwölf-Minuten-Rennen, du musstest auch ein bisschen treten können.
Aber nachdem klar war, dass Downhill nicht olympisch sein würde,
habe ich mich auf Cross-Country konzentriert und das Downhill an den
Nagel gehängt.
Sie
sind Straße gefahren, Cyclo-Cross, Bahn und auf dem Mountainbike
Cross-Country und Downhill. Sie sagen, Sie hätten in allen Bereichen
etwas Neues gelernt, das für die andere Disziplin von Vorteil war.
Denken Sie heute spezialisieren sich die Leute zu sehr und man sollte
mehr über den Tellerrand hinausschauen?
Bis
zu einem gewissen Punkt ist das auch heute noch machbar. Ich für
mich bin froh, dass ich es gemacht habe. Selbst von Autorennen habe
ich gelernt. Den Mountainbikern zu verbieten Cyclo-Cross zu fahren,
wie es teilweise gemacht wurde, das kann ich nicht verstehen. Ich
meine, Mathieu van der Poel (Cyclo-Cross, Straße, Mountainbike)
sticht natürlich heraus. Man muss es halt gut planen. Ich würde
sagen, bis zum Alter von 23, mach’ so viel wie möglich. Dann
kannst du immer noch alles auf eine Disziplin ausrichten. Die
Vielfalt der Trainingseinflüsse hat mich auch vor Verletzungen
bewahrt.
Dass
Mike Kluge 1987 Langstrecken-Rennen auf dem Nürburgring fuhr, war
seiner Leidenschaft geschuldet. Aber er stellte auch fest, dass er
bei Auto-Rennen auch für den Radsport was lernen konnte. „Das
präzise Ausloten von Kurven“, wie er sagte. Der Blick über den
Teller-Rand wurde sein Credo und in manchen Aspekten war er da seiner
Zeit voraus.
Als
Sie 30 Jahre waren, haben Sie mit zwei Freunden die Bike-Marke Focus
gegründet. Steckte hinter dieser Firmen-Gründung auch schon der
Plan für die Karriere nach dem Sport?
Das
war der zweite Gedanke. Der erste Gedanke war, dass ich für mich das
beste Rad habe. Ich wollte meine eigenen Räder haben, wie ich sie
brauche. Ich habe mich um Fahrwerk, Bremsen und so weiter gekümmert.
Ich habe schon bei der WM 93 als Erster eine hydraulische
Felgenbremse gefahren. Ich konnte auch Bremsen und Schalten
gleichzeitig, weil ich mir entsprechende Hebel dran gemacht habe. Auf
jeden Fall war es genau das Richtige mit der Fahrradmarke, es war ja
auch sehr erfolgreich.
2000
haben Sie die Marke verkauft. Was war der Grund?
Derby
Cycle hat meine Räder auf Lizenz verkauft. Meine beiden
Ansprechpartner dort haben über Nacht ihre Jobs verloren. Mit dem
dann zuständigen Finanzmanager habe ich mich nicht verstanden. Das,
in Kombination mit dem Marken-Rechtsstreit mit Ford (wegen dem Namen
Focus) und steuerlichen Themen, haben mich dann motiviert zu
verkaufen. Das hat mir damals auf den Magen geschlagen und ich war
gar nicht mehr fähig Leistung zu bringen.
Damit
war Ihre Karriere beendet?
Ja,
die war zwangsläufig beendet. Mental war ich danach blockiert. Von
den Menschen war ich enttäuscht.
Sie
haben vom Sport dann ziemlich Abstand genommen.
Ich
habe erst mal keine Aufgabe gesehen. Für den Verband was zu machen,
das muss ich nicht erklären, da gab es gar keine Gedanken. Was
eigentlich schade ist. In der Fahrrad-Industrie fehlte mir die
Motivation. Es kam aber auch noch ein persönliches Schicksal dazu.
Ein paar Wochen nach dem Verkauf ist meine Freundin an einer
Lungenembolie verstorben, als wir im Urlaub waren. Damit war
innerhalb von sechs Monaten alles, was mich motiviert hat, weg.
Fahrradmarke weg, Sportkarriere weg und die Beziehung war weg. Ab dem
Punkt war ich erst mal nur in der Welt unterwegs und habe mich nur um
mich gekümmert. Ich nahm auch psychologische Betreuung in Anspruch,
weil mich das extrem runtergezogen hat.
Ende
der 70er-Jahre beginnt die Geschichte des Sportgeräts Mountainbike
in Kalifornien. Auch als Wettkampf-Sport liegen die Wurzeln in
Nordamerika. Als man begann in Cross-Country und Downhill zu
unterscheiden, wurden die Cross-Country-Rennen auf Strecken mit über
zehn Kilometern Länge ausgetragen. Mindestens. Und die Siegerzeiten
lagen deutlich über zwei Stunden. Das war auch in den 90er-Jahren
noch so. Besonders aufregend war das meist nicht. Die Zuschauer
bekamen nicht so viel zu sehen und für das TV waren die
Übertragungen erstens aufwändig und zweitens langweilig. Mike Kluge
hat das früh erkannt und war auch hier ein Visionär, dem man
allerdings wenig Gehör schenkte. Die WM 2005 in Livigno wurde auf
einem zwölf Kilometer langen Kurs ausgetragen und noch Ende der
Nuller-Jahre wurde über zwei Stunden gefahren. Erst danach wurde das
Regelwerk verändert und Rennen sukzessive kürzer. Heute peilt man
bei Männern und Frauen 1:30 Stunden an, kann aber auch bis auf 1:20
Stunden heruntergehen. Die Streckenlängen wurden erst auf sechs bis
neun und später auf vier bis sechs Kilometer festgelegt.
Es
war sicher eine große Herausforderung all diese Leerstellen wieder
zu füllen. Wenn man sich Ihre Geschichte anhört, dann wären Sie
eigentlich für die Rolle als Team-Manager prädestiniert, oder
nicht?
Ich
hätte auf so was auch total Lust und ich glaube auch, dass ich es
könnte. Bei meinen Bike-Events komme ich ja viel mit Menschen
zusammen, denen ich was beibringen muss. Das macht mir total Spaß zu
sehen, wie die Leute dran wachsen. Als ich die Hanka (Kupfernagel)
betreut habe, hatte ich vermutlich schon einen Anteil dran, dass sie
Weltmeisterin geworden ist.
Selber
ein Mountainbike-Team an den Start zu bringen, war das nie ein Thema?
Nun,
ich kenne ja den Aufwand, der da betrieben werden muss. In
Deutschland ist es medial gesehen für den Sport ja auch nicht so
einfach. Ein großer Sponsor braucht ja auch einen Gegenwert. Aber
prinzipiell denke ich, dass ich von dem, was ich gemacht habe,
profitieren könnte. Seit ein paar Jahren arbeite ich ja wieder als
Berater und Marken-Botschafter für Focus, aber Focus hat ja leider
kein Profi-Team mehr.
Sie
hatten nach 2000 für etliche Jahre einen gewissen Abstand zu dem,
was den Cross-Country-Sport angeht. Seit einiger Zeit, aber
spätestens als Sie für den Weltcup-Livestream Co-Kommentator
wurden, sind sie wieder näher dran. Wie nehmen Sie die Disziplin im
Vergleich zu früher wahr?
Gefühlt
würde ich sagen, es muss alles wie ein Uhrwerk laufen. Für
individuelle Aktion ist weniger Platz. Es ist sehr professionell
geworden. Ich mag es nicht, wenn man künstlich Rock Garden einbaut,
die spätestens bei Nässe gefährlich werden. Die Leute fahren da
ohne Protektoren drüber und wer stürzt, verletzt sich fast
zwangsläufig. Für mich ist das kontraproduktiv. Aber was willst du
machen, wenn die Profis sagen, sie mögen die extrem schweren Rennen.
Ich halte das aber für den Zuschauer vor Ort und vor dem Bildschirm
besser, wenn sie nicht so schwer sind. Und davon hängt ja auch die
Vermarktung der Sportart ab.
Das
klingt kritisch. Sehen Sie auch positive Entwicklungen?
Klar,
die Szene ist sehr professionell aufgestellt.
Das
Format unterscheidet sich ja heute von dem, dass Sie selbst noch
gefahren sind. Die Strecken sind kürzer, die Rennen auch. Das hatten
Sie selbst als Aktiver ja schon angeregt.
Das
war ein zäher Prozess. Eigentlich habe ich zwei Sachen erkannt.
Einerseits habe ich durch den Boykott der Cross-WM in Hägendorf
bewirkt, dass die UCI die Regularien verändert hat. Ab da durften es
nur noch zehn Prozent der Strecke sein, die gelaufen werden müssen.
1992 habe ich an den damaligen UCI-Präsidenten Hein Verbruggen und
an den Technischen Delegierten Martin Whiteley einen Brief
geschrieben. Sie haben nicht verstanden, was ich damals mitgeteilt
habe. Ich war Profi, ich lebe davon, dass meine Rennen im Fernsehen
übertragen werden. Ich wusste, dafür müssen die Rennen und die
Strecken kürzer werden. Mein Vorschlag war, die Strecken auf
Plus-Minus fünf Kilometer, die Renndauer der Frauen auf eine Stunde
und die Männer auf 1:30 Stunden zu verkürzen. Da hat man mich
ausgelacht. Ich würde nicht begreifen, dass das kein Cyclo-Cross,
sondern Mountainbike ist.
Was
wir heute haben, ist ziemlich genau das, was Sie vorgeschlagen haben.
Wenn
die Leute länger fahren wollen, können sie Marathon-Rennen
bestreiten, denke ich. Aber die Königsdisziplin muss kürzer sein.
Es hat dann 20 Jahre gedauert, bis man so weit gekommen ist. Die
ersten olympischen Spiele in Atlanta wurden auf einer elf Kilometer
langen Runde ausgetragen. Ein halbes Jahr vorher war ich dort und
dachte, ach du liebe Zeit. 50 Fahrer, wir geistern wir ja alle
alleine rum. Ich habe gesagt, die eine Schleife kann man weglassen.
Dann haben wir auch eine Runde, die man mit Kameras gut verfolgen
kann. Nein, haben sie gesagt, Mountainbike ist anders. Ich lag auf
Position vier als ich einen Kettenklemmer hatte und das ZDF ist dann
aus der Übertragung raus gegangen, weil nur einzelne Fahrer zu sehen
waren. Es freut mich daher, dass die Rennfahrer endlich eine
vernünftige und spannende Plattform haben. Albstadt bietet das
optimal, da kannst du als Zuschauer extrem viel sehen. Albstadt finde
ich per se schon sehr gut, nur ein paar Höhenmeter weniger würde
ich mir wünschen.
Stichwort
WM in Albstadt. Nach 25 Jahren gibt es wieder
Cross-Country-Weltmeisterschaften in Deutschland. Was sind denn Ihre
Erinnerungen an Kirchzarten 1995?
Irre
viel Leute erinnern sich, dass ich damals mit einem pinkfarbenen
Cabriolet rumgefahren bin und mein Rad auf dem Rücksitz lag (lacht).
Ich bin das Ding leider mit einer angebrochenen Rippe und Antibiotika
gefahren. Leider bin ich nur auf Platz 32 rumgegeistert. Das war
natürlich total enttäuschend. Aber die Leidenschaft für den
Mountainbike-Sport im Schwarzwald, die war natürlich groß.
Und
wie sehen Sie Albstadt?
Albstadt
hat auch eine Mountainbike-Historie und als jahrelanger
Weltcup-Standort ist die Region sensibilisiert. Für Deutschland wird
das noch mal einen extrem hohen Wert haben. Ich denke, die
Unternehmen, die sich da zeigen, die werden profitieren. Das wird
schon eine große Party werden. Und für die Athleten ist die
Möglichkeit eine WM in Deutschland fahren zu können, natürlich von
großem Wert. Ich hoffe, dass die Athleten das für sich in Albstadt
auch nutzen. Mein erster WM-Titel im Cyclo-Cross, das war ja in
München und das war live im Fernsehen. Davon habe ich richtig
profitiert.
Auf
was freuen Sie sich denn am meisten in Albstadt?
Auf
die Rennen der Frauen und der Männer. Da treffen einfach top
ausgebildete Sportler aufeinander. Wenn so Kaliber wie Mathieu van
der Poel und Nino Schurter aufeinandertreffen, das wird spannend. Ich
freue mich auch auf das Staffel-Rennen. Ich finde das per se schon
mal total schön, weil sich damit die verschiedenen Kategorien mal
umeinander kümmern. Das ist auch schön, wie man da taktisch agieren
kann, welchen Druck man durch die Aufstellung verursachen kann oder
welchen Joker man am Ende ins Rennen schickt.
Ein
Video-Interview mit Mike Kluge finden Sie auch auf Instagram und im
Youtube-WM-Studio Champions in Albstadt
Kurzporträt
Mike Kluge
Alter:
57
Geboren
in Berlin
Wohnort:
Denzlingen
Erlernter
Beruf: Zahntechniker
Heute
tätig als:
Berater für und in der Bike-Branche
Größte
sportliche Erfolge:
Straßen-Rennsport:
Gesamtsieger Schleswig-Holstein-Rundfahrt 1983, Etappensiege
Rheinland-Pfalz-Rundfahrt und Hessen-Rundfahrt
Cyclo-Cross:
Weltmeister Profis 1992, Vize-Weltmeister Profis 1993,
Amateur-Weltmeister im Cyclo-Cross 1986, 1988, Sechsfacher Deutscher
Meister Profis, fünffacher Deutscher Meister Amateure
Mountainbike:
Vor
der Etablierung als offizielle Radsport-Disziplin
Weltcup-Gesamtsieger
1990, 3 Weltcupsiege
Danach:
Weltcupsieg
Downhill 1992 in Kaprun, Weltcupsiege Cross-Country in Bassano del
Grappa und Houffalize 1993, Deutscher Meister 1993
Weitere Informationen unter www.world-cup-albstadt.de und www.wm2020albstadt.de