MTB Sport News Mai 2020 08 - www.mtb-sport.de - die Mountainbike Seite im Netz!

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2020 UCI Mountain Bike Cross-Country World Championships presented by Mercedes-Benz in Albstadt - 20 Köpfe für 2020 (15): Elisabeth Brandau, vom „Night Ride“ bis in die Weltklasse

Bei den UCI Mountainbike Weltmeisterschaften in Albstadt wäre Elisabeth Brandau ein Local Hero gewesen und man hätte der 34-Jährigen einiges zugetraut. Zwei ihrer besten Resultate hat die Dritte der Europameisterschaften beim Weltcup in Albstadt erzielt. Aber nicht nur deshalb ist Brandau eine interessante Persönlichkeit. Im Gespräch für die Serie 20 Köpfe für 2020 lässt die vielseitige Individualistin tief in ihre Sportler-Seele blicken und lässt erahnen, wie bedeutend die Rolle der mentalen Komponenten im Cross-Country-Sport ist.

Elisabeth Brandau ist in ihrer Sport-Karriere einen besonderen Weg gegangen. Straßenrennsport, vier Jahre Wettkampf-Pause, dann Mountainbike. Erst Marathon, dann Cross-Country. Die eigentlich olympische Saison 2020 sollte für die zweifache Mutter das letzte Jahr als Rennfahrerin sein und eine unkonventionelle Karriere mit der ersten Teilnahme bei Olympia abschließen.
Nicht nur als Sportlerin hat Elisabeth Brandau eine spezielle Laufbahn eingeschlagen. Eine Ausbildung zur Kälteanlagenbauerin im elterlichen Betrieb, Berufserfahrung in einem anderen Unternehmen und gleichzeitig Meisterschule. Später noch eine Zusatzausbildung als Gebäudeenergie-Beraterin und dann noch ein Abschluss als Heilpraktikerin. Inzwischen organisiert sie gemeinsam mit ihrem Ehemann einen Brandau Rad-Service. Alles mehr oder weniger während der aktiven Sport-Karriere. Zudem ab 2012 immer in selbst organisierten Formationen, bei Rennen meist mit Unterstützung ihres Ehemanns Marco und von Freunden. Ein riesiges Pensum, das die Schönaicherin da absolviert, eines, das dem Leistungssport auch seine Grenzen setzt. Trotzdem ist die Power-Frau teilweise bis in die Weltspitze vorgedrungen.

Elisabeth Brandau, als zweifache Mutter und Rad-Profi, wie geht’s Ihnen in dieser schwierigen Zeit der Corona-Pandemie?
Es ist tatsächlich ziemlich schwierig, weil der normale Ablauf völlig durcheinander ist. Die sportlichen Ziele fehlen, die Kinder zuhause und das Handwerk und der Radservice boomte. Irgendwie versuche ich dabei nicht den Fokus zu verlieren, aber muss auch meine gesamte Familie (elterlicher Betrieb) denken.

Vermutlich schwierig dann vernünftig zu trainieren, aber versuchen Sie das aktuell überhaupt?
Bei mir ist das ja eh immer schon kritisch, den Kopf fürs Training frei zu kriegen. Ich bin der Typ, bei dem es immer rattert. Und jetzt noch mehr. Ich trainiere so gut es in alle Richtungen vertretbar ist und was auch derzeit nötig ist. Solange keine Wettkämpfe sind bin ich entspannt und bis September ist noch Zeit, auch wenn ich schon höre, dass andere eher einen größeren Umfang trainieren. Doch ich hoffe, dass die Kindernotbetreuung nun klappt und sich dann auch für die Kinder ein besserer Alltag ergibt, so dass ich dann auch eher Quality Time habe. In einer selbständigen Familie ist das auch für sie nicht leicht. Max (der ältere Sohn) sagte heute, „andere Mamas arbeiten auch nicht nachts.“

Im Moment weiß man sowieso nicht, was in der Saison noch kommt.
Ich hoffe, dass wir was Handfestes haben, wenn die UCI bis zum 15. Mai noch mal einen Kalender bekannt gibt. Wenn es noch mal Rennen gibt in dieser Saison, werde ich schon damit klar kommen. Ich habe es immer irgendwie hingekriegt. Ich vermute, dass auch die Olympia-Qualifikation noch mal geändert wird.

Das Nationenranking, das über die Zahl der Olympia-Startplätze pro Land entscheidet, wäre noch bis Ende Mai gelaufen. Wegen der Corona-Krise stoppte der Radsport-Weltverband das Punkte-Sammeln Anfang März, was den deutschen Bikerinnen zwei Startplätze beschert hätte. Doch nachdem Olympia auf 2021 verschoben wurde, wird das Rennen wohl noch mal eröffnet.

Sie hatten mit dieser Saison eigentlich Ihr Karriere-Ende ins Auge gefasst. Heißt das, Sie werden noch mal ein Jahr dranhängen?
Wenn die olympischen Spiele 2021 stattfinden, mache ich das noch. Ohne Olympia vermutlich nicht. Allerdings bin ich gespannt, wie die Qualifikations-Kriterien neu aufgelegt werden. Das ist alles noch ziemlich schwammig. Die Anti-Doping-Kontrollen sind zur Zeit auch durchlässig, manche dürfen draußen trainieren, wie wir hier in Deutschland, andere wie Pauline Ferrand Prevot (amtierende Weltmeisterin) in Frankreich durften das lange Zeit nicht. Das ist alles nicht wirklich fair.  

Alles in allem ist das...
...eine große Herausforderung für Alle.

Dabei blicken Sie auf Saison 2019 zurück, die im ersten Teil große Erfolge brachte und in der zweiten Hälfte von Problemen geprägt war, die noch nachhängen.
Es hat in Lenzerheide angefangen. Es war erst mal mehr eine mentale Geschichte. Aber seither habe ich Schwierigkeiten in den ganz intensiven Belastungsbereichen. Es kam dann auch noch der Steißbeinbruch im Training bei der WM dazu.

Dabei haben Sie bis dahin die besten Ergebnisse Ihrer Karriere herausgefahren. Beim Weltcup in Les Gets ein dritter Platz beim Short Track, ein dritter Platz im Cross-Country und zwei Wochen später Bronze bei der EM in Brünn.
Ja. Es war ein hartes Programm im vergangenen Sommer und ich war mental einfach zu erschöpft. Obwohl ich zwischen den Weltcups im Val di Sole und Lenzerheide rein körperlich auf meine Bestwerte gekommen bin, ging in der Schweiz dann nichts mehr.

In Lenzerheide stand nicht nur ein enttäuschender 49. Rang zu Buche, sondern auch ein sportlicher Tief-Schlag zwei Tage zuvor. Beim Short Track am Freitagabend fuhr Elisabeth Brandau nach einem schlechten Start immer weiter nach vorne, übernahm die Führung und schoss als Erste über die Ziellinie. Allerdings eine Runde zu früh. Sie bekomme gar nichts mehr mit, wenn es im Rennen gut läuft, sagt Brandau. Wenn man die Bestwerte hernimmt, die sie zwei Tage vorher noch auf ihrem Computer ablesen konnte, war sie wohl sehr gut drauf. So kam es zu diesem Faux-Pas. Brandau fiel im Ziel mehr oder weniger vom Rad und bevor sie realisierte, was Sache war, flogen fast alle Konkurrentinnen an ihr vorbei. Am Ende war sie 21. und die Weltranglisten-Erste Jolanda Neff spendete Trost: „So schade für dich, du warst die Stärkste.“

Erlauben Sie einen gedanklichen Sprung, weit zurück zum Beginn Ihrer Karriere. Wir wollen gerne ein wenig nachzeichnen, wie Sie zur besten deutschen Mountainbikerin geworden sind.
Oh..(lacht).

Beschreiben Sie doch bitte mal Ihren Weg in den Radsport.
Ich bin immer gerne Rad gefahren und mein Vater hat das Rennen ‚Rund um Schönaich’ gesponsert.

Den Straßenklassiker in ihrem Heimatort, der immer am Ostermontag stattfindet.
Genau. In den Spiel-Ferien hat mein knapp zwei Jahre jüngerer Bruder bei den Rad-Wettbewerben mitgemacht und ich dachte, was der kann, das kann ich auch und bin auch mitgefahren. Ich habe bei den Jungs, glaube ich, gewonnen. Jedenfalls haben sie im Verein (RSC Schönaich) wohl erkannt, dass ich Talent habe.

Da waren Sie wie alt?
Das war 1998, da war ich noch zwölf Jahre alt. Ich hatte aber wohl immer schon was mit Rädern am Hut. In der dritten Klasse habe ich mal einen Malwettbewerb gewonnen, als ich zwei Fahrräder gemalt habe. Thema war: was machst du mit deiner Freundin am liebsten. Mitte 1999 habe ich meine erste Lizenz gelöst und ein Rennrad im Verein geleast, davor bin ich mit dem Rad von meinem Papa gefahren. Ich bin kleine Rennen gefahren und glücklicherweise waren Udo Kollross und Wolfgang Ruser Landestrainer. Die haben mich da rausgefischt. Beide wohnen nicht weit weg von meinem Zuhause und so kam es zu den ersten Lehrgängen.

Damit war die Radsport-Karriere eingeläutet.
Ich kann mich an die Lehrgänge mit Udo und Wolfgang noch lebhaft erinnern. Das war mega hart, aber das Beste, was mir passieren konnte. Die Schule, die ich da durchlaufen habe, das hat mir vieles erleichtert. Das war schon Zug dahinter.

Sie sind dann relativ schnell durchgestartet, oder?
In der ersten Saison habe ich gleich den Ellbogen ausgekugelt. Aber 2000 bin ich im ersten Jahr schon Jugend Deutsche Meisterschaft Straße in Unna (genauer: in Fröndenberg) gefahren, da war ich 14. Im gleichen Jahr hatte ich den ersten Nationalmannschaft-Einsatz beim Ländervergleich Italien-Deutschland in Alpirsbach. Da war Bianca Knöpfle (heute Purath) mit dabei, Sabine Rupp,...warten Sie mal..

An dieser Stelle beginnt Elisabeth Brandau Ordner aus dem Regal zu nehmen. Der Opa hat alles fein säuberlich dokumentiert. Ergebnisse, Berichte, Fotos...Von 1999 stammt der erste Ordner. 2000 sei sie 22 Rennen gefahren, zitiert sie aus dem Archiv. Alpirsbach sei im August gewesen und im September hätte es ein Rennen in Bergamo gegeben. Sie blättert weiter in den Ordnern.

2001 habe ich die TMP Jugendtour in Waltershausen gewonnen, vor Bianca Knöpfle...puhh,..wusste ich gar nicht mehr. Wenn du die Bilder anschaust, lachst dich tot (lacht). Ich hatte ein eigenes neues Rad bekommen, ein Lance-Armstrong-Rad. Ich war voll happy. Was ich noch weiß: einen Tag vor der Tour war ich noch im Freibad mit Freundinnen. Ich habe einen Anschiss kassiert, bin aber voll entspannt an den Start. Ich habe mich dann oft mit Bianca duelliert.  

Bianca Knöpfle wurde 2003 im Zeitfahren Junioren-Weltmeisterin.
Ja genau. Im Straßenrennen bin ich mit der Russin Valentina Gavrilova weggefahren. Es hieß dann, dass die deutsche Mannschaft das Loch zugefahren hat. Ich war damals super sauer, auch mit mir. Wenn ich überlege, was Bianca dann an der WM gezeigt hat, war ich schon ein wenig neidisch. Bianca war auch sportlich familiär besser aufgestellt. Meine Familie hat mich so gut sie konnten unterstützt, aber es war halt keine Radsport-Familie. Da war nicht das Know-How für Leistungssport da.

Und im Straßen-Rennen, welchen Platz hast du dann belegt?
Ich bin nach meinem Ausreißversuch im Feld reingekommen. Sabine Fischer hat die Bronze-Medaille gewonnen.

2003 war gleichzeitig auch Ihr letztes Jahr als Straßen-Rennfahrerin.
Ja, die WM war mein letztes Rennen.

Hatte das mit dieser WM zu tun?
Auch. Und mit der Schule. Ich habe Ende 2002 eine Ausbildung zuhause angefangen (Kälteanlagenbauerin), weil ich dachte, es wird einfacher als mit dem Abitur. Ich hatte eh schon Probleme im Feld zu fahren und das wäre bei den Frauen noch schwieriger geworden. Ich habe es auch nicht gemocht nach Trainingsplan zu arbeiten und eine Trainingsdokumentation auszufüllen. Ich bin einfach nur Rad gefahren und mit jedem Rennen schneller geworden.

Kam das für die Trainer überraschend, dass Sie aufgehört haben?
Jochen Dornbusch (damaliger Frauen-Trainer auf der Straße) hat noch zwei Jahre später nachgefragt, ob ich nicht wieder einsteigen wolle. Wolfgang (Ruser) hat dieses Jahr schon zu mir gesagt: weißt du Lisa, du bist doch nie schlecht gefahren, weil du zu wenig trainiert hast. Nur wenn, du zu viel trainiert hast (lacht).

Ihre Karriere war dann also schlagartig vorbei. Haben Sie das Rad in die Ecke gestellt?
Es war eine Trotz-Reaktion. Ich bin dann schon noch weiter Rad gefahren. Das erste Mal so richtig vermisst habe ich das Rennen fahren vermisst habe, war 2008 als ich Olympia geguckt habe. Ich habe in Mannheim mehrere Wochen gearbeitet und per MTB-News Kontakte viele Touren dort gemacht. Man hat auch Olympia und Tour de France angeschaut. Oder als Claudia (Häusler) 2009 den Giro d’Italia gewonnen hat. Ich war bei den Juniorinnen oft besser als sie und habe schon drüber nachgedacht, wo die Reise wohl hingegangen wäre. Aber zu dem Zeitpunkt als ich aufgehört habe, konnte ich gar nicht anders. Ich hatte keine andere Sicht auf die Dinge und hätte jemand gebraucht, der mich an die Hand genommen hätte...aber ob ich das mit mir hätte machen lassen (lacht), ich weiß es nicht.

Es war wohl nicht nur eine Trotz-Reaktion, es hat sich auch viel summiert, oder?
Ja. Mein Selbstwertgefühl war nicht so gut und ich habe viel persönlich genommen. Vielleicht war es auch nicht das Selbstvertrauen, sondern eher mein Über-Ehrgeiz, der mich kaputt gemacht hat. Ich war immer unzufrieden, egal über was. Einerseits hat es mich angetrieben, andererseits macht es einen kaputt.

Sie sind also weiter Rad gefahren, aber keine Rennen mehr.
Nö. Ich bin halt so 200-Kilometer-RTFs (Rad-Touren-Fahrten) gefahren. Mit Ausdauer hatte ich ja noch nie ein Problem. Mit Freunden haben wir uns morgens früh um 6 Uhr getroffen und sind halt losgefahren.

Und irgendwann hat jemand gesagt, komm’ doch mal mit zum Mountainbiken?
Ich wollte ein 24-Stunden-Rennen in München mitfahren und hatte kein Mountainbike.

Sie sind zuvor auch nie ein MTB-Rennen gefahren?
Doch einmal, im August 2003. Da war ich zum ersten Mal alleine im Urlaub auf unsere Hütte in Savognin (Schweiz). Da bin ich den Swiss Cup mitgefahren. Ich habe mir am Tag zuvor ein Bike aus dem Rad-Verleih ein Mountainbike geliehen und bin mit meinen Straßenpedalen gefahren. Im T-Shirt (lacht), weil ich das Rad umsonst ausgeliehen habe und für den Radladen Werbung machen sollte.

Und wie war das Erlebnis?
Ich habe heute noch eine Narbe davon, weil ich immer in der gleichen Kurve gestürzt bin. In der letzten Runde habe ich die Kurve geschafft. Darüber habe ich mich so gefreut, dass ich mich dafür in der nächsten Kurve hingelegt habe (lacht). Das war mein erstes Mountainbike-Rennen. Vor dem 24-Stunden-Rennen habe ich mir einen Bänderriss geholt. Ich glaube, ich bin auf dem Dach ausgerutscht auf der Baustelle. Erst mal habe ich das Rennen abgesagt, aber vier, fünf Tage vorher habe ich noch mal geguckt, ob nicht irgendwo ein Platz frei ist. Ich bin dann in so einem Schweizer Altherren-Team mitgefahren.

Mit Bänderriss?
Ja, ich hatte so eine Schiene dran. Ich war dann gar nicht so schlecht und habe andere Leute kennen gelernt. Über das Forum MTB-News, bin ich dann zum Mountainbiken gekommen. Wir haben immer Night Ride gemacht und irgendwann habe ich bei uns im Wald einen alten Schulkameraden fast über den Haufen gefahren. Als wir zusammen weiter gefahren sind, dachte ich, den kenne ich irgendwo her, wusste aber nicht mehr von wo. Er aber auch nicht. Irgendwann kamen wir drauf, dass Axel Strohm aus meiner alten Parallel-Klasse war, er aber bis zum Abi weiter gemacht hat. Wir sind dann häufig zusammen gefahren. Ich weiß nicht mehr genau, aber irgendwie bin ich 2007 dann zum Marathon nach St. Ingbert gekommen.

Wo damals die deutschen Meisterschaften im Marathon ausgetragen wurden.
Ich bin aber im Hobby-Rennen gefahren und habe gewonnen. Ich wäre bei den Lizenzfahrerinnen Siebte geworden. Dort habe ich das Team Best-Bike-Parts von Lukas Kubis kennen gelernt und sie haben mich dann überredet, dass ich eine Lizenz löse. Ab da habe ich mit Trainingsplan von Sportamed trainiert. Ich bin mit ihnen ins Trainingslager in die Türkei, habe den Marathon in Manavgat gefahren und 2008 bin ich deutsche Meisterin im Marathon geworden.

Den Marathon-Titel holte sich Elisabeth Brandau, damals noch 22-jährig, Ende September in Singen. Doch schon während ihrer Premieren-Saison als Mountainbikerin hatte sie eine Hand voll Siege gefeiert und war im Juli bei der Marathon-WM 13. geworden.

Was haben Sie damals beruflich gemacht?
Ich habe als Kälteanlagen-Bauerin bei Rütgers in Freiberg am Neckar gearbeitet und nebenher die Meisterschule gemacht. Mein Lehrer war voll stolz, dass ich deutsche Meisterin geworden bin, musste ich noch ein Foto mit ihm machen (lacht). Während der Meisterschule bin ich viel gelaufen, weil das nur im Winter war, im Harz. Ich hatte einen Kollegen in der Schule, der Marathons gelaufen ist. Ich weiß noch, dass ich kaum noch laufen konnte, nach einer Woche. Im Sommer musste er dann dafür mal mit mir Rad fahren gehen. Ansonsten habe ich die Laufschuhe ins Auto gepackt und oben auf das Werkzeug kam meistens das Fahrrad mit. Ich war auf Montage und im Service unterwegs. Deshalb war ich dann halt auch mehrere Tage am Stück weg. Nach der Arbeit sind die Kollegen Bier trinken gegangen und ich Fahrrad fahren. Oder morgens schon eine Runde Joggen, bevor die Arbeit los ging.

Da haben Sie aber schon viel investiert in den Radsport. War das absehbar, dass daraus eine Karriere wird?
Nein, gar nicht. Nein damals war das kein Gedanke, es hat mir halt Spaß gemacht. Ich habe von Lukas das Fahrrad bekommen, wir haben uns getroffen, sind mit dem Camper weg gefahren, haben gegrillt, Bier getrunken, ich war das einzige Mädel und wir sind am nächsten Tag halt Marathon gefahren.

Auch noch als Lizenzfahrerin?
Ja. Die Lizenz war eigentlich nur, dass ich eine Versicherung habe. So haben sie es mir zumindest eingeredet. Mir ging es nicht nur mehr ums Rennen fahren. Das waren meine Freunde. Zu meinen Klassenkameraden habe ich keinen Kontakt mehr. Ich bin niemand für Kaffee trinken, ich versuche auf was hinzuarbeiten, mich weiter zu bilden. Vielleicht denke ich zu viel, lese zu viel. Aber ich kann nicht nur auf dem Fahrrad sitzen. Dann beschäftige ich mich halt mit der Gesundheit oder mit Leistungsdiagnostik oder anderen Dingen.

Was war dann der neuralgische Punkt, an dem es doch wieder um Rennen fahren ging?
Hmm, der Punkt? Der Frank Brückner (damaliger MTB-Nationaltrainer) kam und sagte, er würde mich in die Nationalmannschaft aufnehmen.

Dafür mussten Sie aber Cross-Country-Rennen fahren.
Ich wurde zum Leistungstest eingeladen und Frank sagte mir, ich hätte glaub die besten Daten, besser als die von Sabine (Spitz, 2008 Olympiasiegerin). Ich müsste mich auf Cross-Country konzentrieren, damit ich Olympia fahren könnte. So ungefähr war das, wenn ich mich richtig erinnere. Zumindest war ich dann Nationalkader und musste im darauf folgenden Jahr in Madrid (2009) den Weltcup fahren. Da war ich dann Letzte (schmunzelt).

Nicht ganz, Sie waren bei Ihrer Weltcup-Premiere 53. Sechs waren noch hinter Ihnen.
Obwohl die Strecke gar nicht so schwer war. Na ja. Ich dachte, was wollen die denn noch von mir? Ich habe ja nichts gekonnt.

Sie meinen fahrtechnisch?
Ich konnte meine Fähigkeiten nicht umsetzen. In Champéry (Schweiz) war ich nach dem Rennen grün und blau (wegen vieler Stürze). Das hat mir nichts ausgemacht, aber Marathon hat mir immer mehr getaugt. Bei meinem ersten Marathon in St. Ingbert war ich danach allerdings auch lädiert. Ich konnte am nächsten Tag nicht auf die Baustelle gehen.

Die ersten Cross-Country-Rennen waren also alles andere als erfolgreich.
Ich glaube, das Handicap war das Ding mit Olympia. In der Nationalmannschaft zu sein, das hat mich an früher erinnert. Marathon fahren war eher die Flucht, der Ausgleich. Aber das ist auch nicht mehr so, weil die Erfolge schon da waren. Wenn ich was Neues mache, lässt man mich noch in Ruhe. Aber mit jedem Erfolg kommt bei mir mehr Druck. Anstatt einfacher, wird es bei mir immer komplizierter. Das ist meine Schwäche. Keine Ahnung warum.

Wie gut es gehen kann, wenn sie und niemand von ihr was erwartet, beschreibt ein Rennen im spanischen Banyoles 2018. Elisabeth Brandau fehlte das Geld, um das größer zu planen, aber es fehlten auch die Punkte, nachdem sie im Vorjahr zum zweiten Mal schwanger war. Also nahm sie einen Billigflieger, kaufte vor Ort im Baumarkt ein Zelt, übernachtete am Strand, fuhr das Rennen – und gewann. Vor Weltklasse-Konkurrenz.  
Sie steht sich selbst immer sehr kritisch gegenüber. Man könnte auch sage: zu kritisch.
Dabei ist unverkennbar, dass sie – allen Rückschlägen zum Trotz – seit ihrem ersten Weltcup in Madrid im Alter von 23 Jahren ihre Leistungskurve immer weiter nach oben getrieben hat. Zwei Schwangerschaften haben zwei Wellen in der Bilanz verursacht, doch sieben Jahre danach erreichte sie in Albstadt ihr erstes Top-Ten-Resultat, zwei Jahre später stand sie an gleicher Stelle als Fünfte zum ersten Mal auf dem Weltcup-Podium, 2018 wurde sie erstmals Deutsche Meisterin im Cross-Country und zehn Jahre nach ihrer Premiere wurde sie beim Weltcup in Les Gets Dritte und gewann bei der EM ihre erste internationale Medaille.

Eigentlich sind das genügend Gründe, um sich mit einem gerüttelt Maß an Selbstbewusstsein in den Sattel zu schwingen. Zumal auch die Konkurrenz inzwischen Respekt hat vor der 34-Jährigen. „Wenn Lisa vorne fährt, traut sich niemand einfach vorbei“, gab Ex-Weltmeisterin Jolanda Neff nach dem Short Track in Nove Mesto zu Protokoll.

Wenn wir mal nach vorne spulen, trotz der beachtlichen Erfolge, wurden die Ergebnisse 2019 aber trotzdem noch mal besser. Warum hat es in Les Gets so gut geklappt?
So wie wir das in Les Gets angegangen sind, mit dem BDR, der Ferienwohnung, die wir dort hatten, die Strecke, da bin ich entspannt heran gegangen. Die Strecke war nicht so schwer, es hat niemand gesagt, das kannst du eh nicht. Ich habe mich für das Hardtail entschieden, weil das für das Short Track besser war. Im Cross-Country-Rennen bin ich befreit gefahren. Wenn es an einer Stelle im Kurs hakt und du musst noch mal fünf Mal dran vorbei, dann macht der Kopf halt zu. Das ist bei mir mit dem Alter noch mal schlimmer geworden. Es fällt mir schwer Risiko einzugehen.

Die Vorsicht könnte auch mit den Kindern zu tun haben, oder?
Denke schon. Ich weiß nicht, wie das andere machen. Für mich müsste Rad fahren eigentlich Hobby bleiben, dann fällt der Druck weg. Die Schwierigkeit ist aber: wenn du nach außen hin, wie ein Hobbyfahrer rüber kommst, nicht professionell, dann finden es die Trainer nicht so toll. Das ist der größte Konflikt für mich. Wenn ich mich davon frei mache, fahre ich am besten Rad. Ich weiß nicht, ob es auch andere Sportler gibt, die vor derselben Hürde stehen. Ich habe das Buch von Felix Gottwald gelesen (ehemaliger österreichischer Kombinierer). Felix hat auch irgendwann gesagt, ich trainier mich selber und höre auf mich. Aber dafür fehlt mir das Selbstbewusstsein und ich denke es würde auch die Einschätzung von außen fehlen, was besonders wichtig ist, mit meinem Ehrgeiz.

Dabei haben Sie schon erlebt, dass Sie damit Erfolg haben?
Nach meiner zweiten Schwangerschaft habe ich acht Wochen lang, im Schnitt sieben bis acht Stunden trainiert und bin dann Fünfte bei der Cross-WM geworden. Klar habe ich vielleicht einen Schwangerschaftsbonus gehabt, aber ich hatte einfach keinen Druck, ich musste nicht. Da hat niemand nachgefragt, was ich mache.  

Wenn Sie ihre zwei Karrieren vergleichen, auf der Straße und auf dem Mountainbike, wie sehen Sie das aus heutiger Perspektive?
Auf der Straße musste ich nie über irgendwelche Wurzeln oder Felsen nachdenken (lachen), ich musste nur fahren. Vermutlich hätte ich von meinem Talent her auf der Straße mehr erreichen können. Anderseits war das Bewegen im Feld und Taktik nie mein Ding. Mich hätte es schon noch gereizt in einem Profi-StraßenTeam zu fahren, das gut organisiert ist.

Und was ist die positive Seite am Mountainbiken?
Da bist du mehr bei den Zuschauern und es geht um deine individuelle Leistung. Das liegt mir. Ich wäre auf der Staße ungern Wasserträgerin. Ich denke, ich bin schon teamfähig, aber ich brauche meine Freiheiten. Was im Mountainbike für mich ein Problem ist, das ist die zusätzliche Belastung durch das Punktesammeln für die Nationenwertung, damit man sich die Startplätze erkämpft. Dadurch entsteht auch viel Reiserei. Ich halte das für einen Systemfehler – ohne, dass ich wüsste, wie man das besser löst. Die Shortracks sind auch eine Zusatzbelastung auch wenn es für den Weltcup ein sehr guter Mehrwert ist.

Wie sehen Sie denn die Absage der Heim-WM, nachdem Sie in Albstadt immer so erfolgreich waren?
Es ist sehr schade. Ich bin schon ziemlich traurig, dass man es nicht im Oktober noch mal versucht hat. Albstadt war für mich immer ein Ort für Erfolge. Schon 2003 bei der deutschen Bergmeisterschaft in Albstadt als ich vor Hanka Kupfernagel gewonnen habe.

Kurzporträt: Elisabeth Brandau
Alter: 34
Verheiratet: mit Marco Brandau, zwei Söhne (fünf und drei Jahre alt)
Heimatort: Schönaich
Erfolge:
Straße: Deutsche Bergmeisterin 2002 und 2003, Deutsche Vize-Meisterin 2001, WM-Teilnehmerin 2002 und 2003 (alles U19), Gewinnerin TMP Jugendtour 2001  
Cyclo-Cross: Deutsche Meisterin 2016, 2018, 2019, 2020, WM-Fünfte 2018  
Cross-Country:  EM-Dritte 2019, EM-Fünfte 2018, Weltcup-Dritte Les Gets, XCO und XCC (Short Track) Les Gets 2019, Weltcup-Fünfte Albstadt XCO 2018, Deutsche Meisterin 2018, 2019, Siege Bundesliga-Klassiker in Heubach ( und  Münsingen (2011)
Marathon: WM-Vierte 2010, WM-Fünfte 2011, Marathon-WM-Sechste 2012, Deutsche Meisterin Marathon 2008, 2011, 2012
Eliminator: Deutsche Meisterin 2012

Weitere Informationen unter www.world-cup-albstadt.de und www.wm2020albstadt.de
  

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